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Humanist vielleicht und vielleicht liberal; Menschenfreund im Allgemeinen; reflektierend; angeborener Gerechtigkeitssinn

Montag, 4. Februar 2013

Szenarien zum israelischen Angriff auf Syrien

Israel greift mir-nix-dir-nix eines seiner Nachbarländer an. Das ist nichts neues, in den vergangenen Jahrzehnten hat die israelische Armee durchaus selbstständig das eine oder andere mittelbare (Irak, Sudan) oder unmittelbare (Libanon, Syrien) Nachbarland aus der Luft mit scharfen Bomben versorgt. Insofern nichts neues, sondern ein weiteres Beispiel der "israelischen Spielregeln", die das Land mit intensiver amerikanischer und westlicher Hilfe der gesamten Region aufzupressen versucht.

Sogar die Amerikaner bestätigen den Angriff. Israel dagegen hüllt sich in Schweigen. Internationale Fachleute und israelische Medien sehen damit das Potenzial zu einer Eskalation und einem Flächenbrand jenseits der syrischen Grenzen stark gestiegen. Auch in Israel bereitet man sich mittels einer Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen auf Reaktionen vor. Unfähige Journalisten meinen dagegen, daß Israel Syrien zu diesem Zeitpunkt angreifen "mußte".

Halten wir fest, was passiert ist (und was nicht): von syrischer Seite gab es in keiner Form Handlungen, die man als direkte Aggression oder Bedrohung Israels deuten könnte (im Gegensatz zu den Raketen auf die Südosttürkei) - zumindest keine offenen Handlungen. Und doch überqueren israelische Kampfflugzeuge amerikanischer Bauart die syrische Grenze und beglücken Syrien wiederholt, wie wenige Monate vorher den Sudan oder einige Jahre vorher den Irak mit herabfallenden Bomben. Unklar bleibt, was das Ziel des Angriffs war: Waffenlieferungen an die Hisbollah, Chemiewaffen oder eine Forschungseinrichtung, viele Vermutungen schießen ins Kraut. Doch das Problem besteht darin, daß Israel eine klare militärische Aggression gegenüber Syrien begangen hat. Natürlich kann man mit der Hisbollah und der (gefühlten Bedrohung Israels) argumentieren, doch bleibt dies lediglich ein unbewiesenes Argument, das man von israelischer Seite immer dann bequem anführen kann, wenn man für militärische Handlungen eine Rechtfertigung ("Überschreitung der roten Linie" etc.) benötigt. Und viele deutsche Journalisten stimmen in die israelische Regierungspropaganda ein und verteidigen diese kritiklos, was den Kriegstreibern in Israel sehr willkommen sein dürfte.

Man stelle sich vor, diese Ereignisse hätten sich umgekehrt ereignet: Syrien oder der Libanon hätte sich durch den israelischen Kauf der neuesten amerikanischen Kampfjets bedroht gefühlt und ein enormes Risiko für ihre nationale Sicherheit gesehen, syrische Mig-16 wären gen Südwesten aufgestiegen und hätten ganz nebenbei den betreffenden israelischen Luftwaffenstützpunkt bombardiert. Was wäre dann wohl passiert? Wie wäre das westliche Medienecho? Was würden westliche Politiker entgegnen?

Es würde einhellig verurteilt werden. Die israelische Regierung würde wahrscheinlich unmittelbar auf die syrische/ libanesische Aggression militärisch reagieren. Vielleicht würden die USA einen Flugzeugträger in das östliche Mittelmeer entsenden und Israel militärisch unterstützen, falls sich die Syrer/ Libanesen erfolgreich wehren würden und israelische Kampfjets vom Himmel holen würden. Diejenigen westlichen Journalisten, die derzeit den israelischen Präventivschlag verteidigen, würden laut aufheulen und die grundlose arabische Aggression gegen das unschuldige Israel anprangern. Doch im derzeitigen Falls eines unberechtigten militärischen Übergriffs von israelischer Seite, verteidigen diese die israelische Vorherrschafts- und Dominanzpolitik. Die Begründung des Überschreitens einer - wie auch immer wahrgenommenen - roten Linie ist beliebig und flexibel einsetzbar, um jegliche militärischen Übergriffe zu rechtfertigen, und zwar von jeder beliebigen Seite. Für Assad war mit den Demonstrationen und dem bewaffneten Widerstand im eigenen Land auch eine rote Linie überschritten. Während dieser jedoch von westlichen Politikern und den erschreckend uniformen westlichen Medien als Tyrann und Menschenschänder einseitig an den Pranger gestellt wird, gilt für die israelische Politik ein anderes Maß: sie wird nicht nur nicht kritisiert, sondern gar erklärt, unterstützt und verbal verteidigt.

Hat man einen nahen Blick auf die regionale Politiklandschaft und versucht die politischen Folgen dieses israelischen Angriffs zu erfassen, so ergibt sich ein überaus komplexes Bild, das die Interessen der verschiedenen beteiligten Gruppen sich stark voneinander unterscheiden:

1. die jüdisch-israelische Bevölkerung: einerseits unter durchschnittlichen Israelis steigende Angst vor einem Vergeltungsschlag und einem Übergreifen des Krieges, andererseits unter den nationalistisch-jüdischen Bevölkerungen Unterstützung für die harte Hand, die der israelische Staat wiederholt und erfolgreich gegen die bedrohlichen und terrorristischen Araber bewiesen hat
2. die israelische Regierung: Genugtuung über den Erfolg der Mission und das Zeigen der israelischen Faust und seiner Entschlossenheit, das Land und das Weltjudentum zu verteidigen (da sich die gegenwärtige israelische Regierung gern als den einzig legitimen Vertreter aller Juden dieser Welt hält, obwohl die meisten Juden nicht in Israel leben)
3. die arabisch-israelische Bevölkerung: überwiegend wahrscheinlich Unbehangen oder Ablehnung über den Angriff auf ihre arabischen Brüder und ggf. Angst vor einem Vergeltungsschlag von dem auch sie (im Falle von fehlgeleiteten Raketen) betroffen wären
4. die arabische Liga: Verurteilung der israelischen Aggression
5. die iranische Regierung: Verurteilung der israelischen Aggression (das iranische Volk dürfte recht gleichgültig sein)
6. die syrische Bevölkerung (und zwar unabhängig, ob für oder gegen Assad): Verurteilung der israelischen Aggression und der Verletzung des syrischen Hoheitsgebietes
7. die Aufständischen in Syrien: wie das syrische Volk
8. die Assad-Regierung Syriens: wie das syrische Volk
9. die libanesische Regierung: wie das syrische Volk
10. die libanesische Bevölkerung: wie das syrische Volk
11. die Hisbollah: wie das syrische Volk
12. die ägyptische Regierung: wie das syrische Volk
13. die ägyptische Bevölkerung (unabhängig, ob für oder gegen die Mursiregierung): wie das syrische Volk
14. die türkische Regierung: wie das syrische Volk
15. die türkische Bevölkerung: wie das syrische Volk

Habe ich eine Interessengruppe in diese Aufreihung vergessen?

Die Reaktion der arabischen Seite unabhängig vom Land oder der Meinung zu Assad ist sehr wahrscheinlich überaus einheitlich und würde mit der moslemischen Wahrnehmung (Iran, Türkei) identisch sein. Israel könnte mit seinem Angriff Assad (und seinen Erzfeinden Hisbollah und Iran) gar einen Bärendienst erweisen, da es ihm die Gelegenheit und einen willkommenen Anlaß gibt, sich als der Verteidiger der syrischen Interessen und des syrischen Volkes zu präsentieren. Dies könnte Assad im innersyrischen Konflikt sehr nützlich sein, da er somit zeigen kann, daß er und nicht die Aufständischen entgegen derer Behauptungen die syrischen Interessen gegen ausländische Aggressionen verteidigt. Wenn er eine entschlossene Reaktion zeigt, könnte das ihm mehr Unterstützer unter den Syrer bescheren bzw. insbesondere die Teile der Bevölkerung, die nicht klar eine der beiden Seiten im syrischen Bürgerkrieg zuzurechnen, könnten sich nun in Richtung einer Unterstützung Assads bewegen, was die Gewichte im innersyrischen Konflikt durchaus verschieben könnte.

Andererseits könnten die Aufständischen den Braten wittern und ihrerseits versuchen, sich als die wahren und einzig wirkungsvollen Verteidiger des syrischen Volkes gegen die israelische Aggression zu stilisieren, um Assad als schwach und unfähig darzustellen, und faktisch eine zweite Front gegen Israel eröffnen. Eine entsprechende Gewichtsverschiebung im innersyrischen Konflikt wäre die Folge. Natürlich wäre dies letztendlich sehr heikel, da die vom Westen als demokratische Freiheitskämpfer gefeierten und (vom Westen und den steinzeitlichen arabischen durch und durch undemokratischen Golfmonarchien und Saudi-Arabien) unterstützten Aufständischen sich plötzlich gegen den einzigen verläßlichen westlichen Verbündeten in der Region, nämlich Israel, wenden würden. Die westliche Politik käme in arge Erklärungsnot und die Mehrzahl der westlichen Journalisten hätten erhebliche Probleme, diese neue nahöstliche Realität zu verstehen.

Die Hisbollah könnte, allerdings aus einem anderen Grund, ebenso handeln: sie könnte zur Unterstützung Assads, für den Ausbau ihrer Speerspitzenposition im arabischen Abwehrkampf gegen die israelische Aggression und zur Demonstration militärischer Stärke gegen Israel und zu dessen Einschüchterung, eine militärische Konfrontation vom Zaun brechen. Für die israelische Bevölkerung, ob jüdisch oder arabisch, wäre es gleichgültig, aus welcher Himmelsrichtung die Raketen geflogen kommen, sie hätte, falls eine der drei Parteien diesen mehr als willkommenen Anlaß nutzt, in jedem Fall das Nachsehen und die Opfer zu tragen.

Auch der Iran könnte den willkomenen Anlaß nutzen, um seinen Führungsanspruch in der Verteidigung Israels gegen den Islam auszubauen, was auch den Interessen des Westens als auch den mit dem Iran in Erzfeindschaft stehenden arabischen Staaten der arabischen Halbinsel zuwiderlaufen würde. Die beschriebene Reaktion der Hisbollah oder der Assad-Regierung würde ebenfalls zu einer Stärkung derer Positionen führen und zu identischen Folgen für den Westen und die arabische Halbinsel führen.

Vor diesem Hintergrund erscheint der israelische Militärangriff weder so zwangsläufig noch so nützlich für Israel, den Westen und die arabischen verbündeten "Stabilitätsanker" des Westens (Golfmonarchien und Saudi-Arabien), wie einige der oben verlinkten deutschen Journalisten glauben machen wollen.Außer aber, die Israelis waren sich sehr sicher, daß alle drei genannten Gruppen zur Zeit so schwach sind, daß sie sich nicht wehren werden...

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