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Humanist vielleicht und vielleicht liberal; Menschenfreund im Allgemeinen; reflektierend; angeborener Gerechtigkeitssinn

Mittwoch, 7. September 2011

Konflikt Türkei Israel

Eine Zeitenwende.

Die Welt titelt: "Ein absurder Konflikt eskaliert". Nun, dieser Konflikt ist in meinen Augen weder absurd noch einfach so abzutun. Er könnte das Gefüge im Nahen Osten nachhaltig grundlegend verschieben. Verschieben gegen die Interessen und zu Ungusten Israels. Die Türken fühlen sich in ihrer Ehre verletzt. In einer solchen Situation neigen (auch) Staatenlenker zu nicht unbedingt sinnvollen Entscheidungen.Da können leicht ungünstige Eigendynamiken entstehen...



Hier dokumentiert die Welt den Prozess (unten auf der Seite), "wie aus Freunden Feinde wurden":
  1. Die "strategische Partnerschaft" zwischen Israel und der Türkei galt bis 2009 als Grundelement des Kräftegefüges im Nahen Osten. Dabei waren die Beziehungen immer schon schwierig.
  2. 1948: Als erstes muslimisches Land erkennt die Türkei Israel als Staat an. Der Dank sind offene und verdeckte Hilfe für die Türkei durch Israel und seine Unterstützer.
  3. 1980: Die Türkei stuft ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel herab, nach der Annexion Ost-Jerusalems. Zwei Wochen später kommt es zum Militärputsch in der Türkei. Erst 1992 werden die Beziehungen wieder normalisiert.
  4. 1992: Mit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen beginnt die Phase der "strategischen Partnerschaft" vor allem im militärischen Bereich.
  5. 2006-2008: Die Türkei vermittelt auf Bitte Israels mit Syrien, um die Möglichkeiten für direkte Friedensverhandlungen auszuloten.
  6. 2008: Der israelische Ministerpräsident Olmert besucht den türkischen Regierungschef Erdogan, der ihm anbietet, die letzten Hindernisse für Verhandlungen mit Syrien auf der Stelle telefonisch mit Syriens Herrscher Assad zu beseitigen. Olmert lehnt dankend ab, bittet aber, die Sache weiter zu verfolgen. Am nächsten Tag greift Israel Gaza an – Olmert hatte Erdogan nichts davon verraten, der türkische Premier ist tief gekränkt.
  7. 2009: Eklat beim Wirtschaftsforum in Davos: Erdogan nennt Israels Präsident Shimon Peres "Kindermörder" und stürmt vom Podium.
  8. Januar 2010: Der türkische Botschafter in Tel Aviv, Oguz Celikkol, wird ins israelische Außenministerium zitiert, nachdem Erdogan Israel als "Gefahr für den Frieden" bezeichnet hatte. Er muss ohne Händedruck nach langer Wartezeit auf einem niedrigen Sofa Platz nehmen, während Israels Außenminister Avigdor Lieberman auf einem Stuhl über ihm thront.
  9. Mai 2010: Die türkische Organisation IHH, die zur fundamentalistisch-islamischen Bewegung "Milli Görüs" gehört, will mit einer "Hilfsflotte" die Blockade Gazas brechen. Neun Türken werden von israelischen Soldaten erschossen.
  10. 2011: Die Türkei weist den israelischen Botschafter aus und suspendiert alle Militärabkommen.
Ja, dies beinhaltet die wichtigsten Schritte. Die Frage ist, ob es sich Israel, d.h. die rechtsgerichtete israelische Regierung, wirklich leisten kann (v.a. angesichts der weitreichenden politischen Instabilitäten in allen Nachbarländern und in der Region allgemein), sich die langjährige Beziehung zur Regionalmacht und dem einzigen (verbliebenen - der Iran war bis zur Revolution auch einer) muslimischen Verbündeten. Offensichtlich möchte es sich die Regierung Netanjahu leisten. - Prost Mahlzeit dann! Die Welt meint auch, daß die Türkei den Konflikt mit Israel sucht. Nun, die Entwicklung oben zeigt, daß dies sicherlich nicht so einseitig ist, die israelische Regierung provoziert(e) ihren Verbündeten ziemlich (oft und stark) und hoffte wohl, daß die Türkei es sich gefallen lassen würde, sich vielleicht mit dem ein oder anderen Deal kaufen lassen würde und schweigen würde. Nicht einmal der uninformierteste und dilletantischste deutsche Journalist, der in z.B. in der Welt über die "Vorherrschaft in der Region" schreibt (was vollkommen abwegig ist, da die israelische Armee wohl sicherlich stark genug ist, um das Land zu schützen, aber zu einer regionalen Vorherrschaft noch weit entfernt ist), kann nicht behaupten, daß die Tötung von 9 Besatzungmitgliedern des Gazaschiffes durch die israelische Armee verhältnismäßig oder irgendwie angemessen war. Selbst wenn einige Besatzungsmitglieder gewalttätig waren (was sicherlich nicht für diese spricht), kann man sie sicherlich mit Bein- statt Todesschüssen leicht außer Kraft setzen.

Beiden Seiten erhöhen die Schikanen, die Sache schaukelt sich auf. Naja, zumindest für den Flughafen Tel Aviv ist eine solche Behandlung nichts neues. Das handhabt man dort schon seit geraumer Zeit so (seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten), ich selbst und viele andere (über den Tel Aviver Flughafen) Ausreisende können ein Lied davon singen (Entkleidung bis auf die Unterwäsche und absolut herabwürdigende Behandlung durch israelische Sicherheitskräfte kann man ohne Probleme erleben, wenn man vorher in die "richtige" Bedrohungskategorie eingeordnet wurde - das wiederum kann man erreichen, wenn man den Sicherheitsbeamten auf die Frage, wo man in Israel gewesen sei, mitteilt, daß man israelische Menschenrechtsnichtregierungsorganisation besucht hat (bzw. die palästinensischen Gebiete) bzw. auch nur Material von einer solchen im Gepäck hat - und im Handumdrehen wird der unbescholtene Ausländer zur potentiellen Bedrohung des Existenzrechts Israels, zum Quasi-Terroristen - und das lassen die Sicherheitsbeamten den Fluggast auch sehr klar merken! Und die Haaretz schreibt davon, also ist es wohl kein Geheimnis, wenn Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums das sogar bestätigen.). Menschenunwürdige Behandlung ist dort gang und gäbe. Leider. Nach dem schönsten Aufenthalt in Israel (denn Israel ist schon schön!) hinterläßt dies immer einen sehr bitteren Nachgeschmack. Aber offensichtlich meinen die israelischen Sicherheitsbehörden, daß es Vorteile für das Land hätte, wenn man Ausländer derart behandelt und sie sich wohl auch noch sicherer fühlen würden...  Ts-ts-ts, welche ein Irrtum...

Nur für den uninformierten deutschen Journalisten ist das eine Nachricht wert bzw. hat Neuigkeitswert. Die Neuigkeit ist allerdings, daß die türkischen Behörden auf dem Istanbuler Flughafen, ihre Behandlung israelischer Flugpassagier entsprechend anpassen. Das ist vielleicht nicht unbedingt sinnvoll, da der einfache israelische Reisende keinerlei Einfluß auf die Sicherheitsregularien am Flughafen Tel Aviv hat, doch ist wohl auch nicht persönlich an diese gerichtet, sondern als ein politisches Zeichen zu verstehen, das die Regierung Netanjahu, Liebermann und co besser verstehen sollten, denn die Türkei ist zu groß und zu wichtig, als daß es sich Israel leisten könnte, es sich mit diesem Land nachhaltig zu verderben (was aber sicherlich bald geschehen wird, da die Entwicklungen in den letzten Wochen in dieser Angelegenheit offensichtlich nicht zu einer Entspannung geführt haben. Erhöhte Militärpräsenz ist immer ein schlechtes Ohmen...).

Allein schon aus rein pragmatischen Gründen sollte sich das Israel wohl gut überlegen: die Hisbollah im Norden, im Osten das instabile Syrien, im Süden eine undichte ägyptische Grenze und die Hamas mit ihren Raketen und Selbstmordattentätern. Und nun noch die Türkei im Westen zur See im Nacken? Haben die Israelis nicht schon auf genug potentielle Brandherde zu achten, die jederzeit mehr oder weniger stark aufflammen können? Ist Netanjahu und seine Regierung von allen guten Geistern verlassen, auch noch einen Konflikt mit der Türkei heraufbeschwören zu wollen (wobei das der Türkei außenpolitisch vielleicht sogar einigermaßen recht kommen könnte, d.h. man so den Türken auch noch einen Gefallen tut)? Auch wenn die Eskalation negative Folgen, auch auf wirtschaftlichen Gebiet, für die Türkei haben könnte, wird der relative Schaden für Israel sowohl (sicherheits-) politisch, militärisch, wirtschaftlich, etc. wesentlich größer sein, einfach weil die Länder in ihrer Größe sehr unterschiedlich (groß) sind. Unruhige Zeiten.

Es gab schon bessere Zeiten...


P.S. Was habe ich gesagt? Die Nachrichten berichten folgendes:
9.9.2011:  Türkei will Gaza-Hilfe mit Kriegsschiffen begleiten, Konfrontationskurs (von beiden Seiten wohlgemerkt!)
9.9.2011: Israel gibt Reisewarnungen für seine Bürger sowohl für die Türkei als auch Ägypten heraus
10. September: Stürmung der israelischen Botschaft in Kairo durch Demonstranten (als Reaktion auf 5 von Israel erschossene Grenzpolizisten) - 5 tote Ägypter, 9 tote Türken alle durch die israelische Armee... das sind die Auswirkungen des Volkszorns, der sich noch aufschaukeln kann, wenn dies politisch gewünscht und ausgebeutet wird... UNRUHIGE ZEITEN!!! (Ich möchte lieber nicht daran denken, was den Israel noch bevorstehen kann... besser nicht daran denken...)
10. September: "Israel: Kein Interesse an Eskalation" - aha zumindest in der Einschätzung der Lage ist man rational, auch wenn die israelische Regierung nun plötzlich das Völkerrecht anführt ("die Türkei würde Völkerrecht verletzen"), das man selbst nach Belieben und seit Jahrzehnten verletzt... oder nationale Journalisten, Erdogan Scheinheiligkeit vorwerfen, man sollte zuerst den Balken im eigenen Auge entfernen

...alle außer Lieberman... hm, er sollte schon das Hirn einschalten (falls er ein solches Organ besitzt, was ich arg bezweifele), bevor er das Maul aufreißt, die Türken könnten sich sehr leicht revanchieren (es gäbe sehr viele Möglichkeiten dazu) und Israel kann und wird am Ende nur verlieren (was offensichtlich sogar Netanjahu so sieht)... Lieberman scheint, trunken vor Nationalismus, die Rolle und Möglichkeiten des kleinen Israel gegen die große Türkei vollkommen zu überschätzen...

10. September - Haaretz Blitznachrichten:
00:01 - 55 Egyptians wounded in clashes with police around Israeli embassy in Cairo (Army Radio)
03:13 - Egyptian airport officials say Israeli ambassador waiting for military plane to leave country (AP)
Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo, Rammböcke (siehe Video), Herunterreißen der israelischen Flagge am Botschaftsgebäude, Vernichtung einer Reihe von Dokumenten, 450 Verletzte, Evakuierung sämtlicher Botschaftsangehöriger und deren Familien bis auf einen durch ägyptische Spezialkräfte mit einer Militärmaschine nach Israel - unruhige Zeiten fürwahr.

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