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Humanist vielleicht und vielleicht liberal; Menschenfreund im Allgemeinen; reflektierend; angeborener Gerechtigkeitssinn

Sonntag, 17. Juni 2012

Sicherheit als Illusion

In Israel ist Sicherheit ein großes Thema, vielleicht sogar eines der beim Besuch des Landes als Ausländer dominierendsten und ungewöhnlichsten Themen des israelischen Alltags. Es ist plausibel, daß vor dem israelischen Hintergrund Sicherheit wichtig ist. Man wird dauernd kontrolliert: natürlich im Flughafen, aber auch dem Betreten öffentlicher Gebäude, von Supermärkten, Einkaufszentren, Busbahnhöfen, Bahnhöfen. Die Intensität hängt von der gegenwärtigen Intensität des Konfliktes ab, ist er gerade etwas heißer, so wird man auch beim Betreten von Restaurants und Kneipen kontrolliert. Zurzeit ist die Lage ziemlich entspannt, die Kontrollen sind oft lasch oder finden gar nicht statt, indem der Sicherheitsbeamte (meistens sind es Männer) die Betretenden einfach eintreten läßt. Manchmal will man aber auch den Paß sehen und selten trifft man übereifrige Sicherheitsbeamte, die im Fotografieren von Bahnhöfen oder anderen öffentlichen Gebäuden Terrorismus wittern und entsprechend mit dem Verlangen der Herausgabe des Passes und einem kleinen Standverhör reagieren. Eine Frage, die für den deutschen Durchschnittsbürger eigenartig bis lustig wirkt, ist diese: „? יש נשק “ („jesch neschek?“). „? יש נשק “ heißt nichts anderes als „Hast Du eine Waffe bei Dir?“ – nun, und diese Frage wird früher oder später lustig für das deutsche Ohr. In heiterer Stimmung bin ich manchmal gar fast geneigt, das Experiment einer positiven Antwort zu geben: „Natürlich, ich habe ein Flaggeschütz in meiner Hosentasche!“
Doch ist dieser Aspekt des israelischen Alltagslebens hat hinter der Oberfläche beachtliche Implikationen und es lohnt, darüber nachzudenken. Ein Problem dieser Maßnahmen, wie sie in Israel gehandhabt werden, ist ihre starke diskriminatorische Komponente, die im israelischen Denken tief verankert ist: arabische Israelis (also im Israel der 1967-er Grenzen lebende Araber, die im Gegensatz zu den im Westjordanland und Gaza lebenden Palästinensern, die auch Araber sind, die israelische Staatsbürgerschaft besitzen) werden wesentlich stärker und öfter kontrolliert allein aus dem Grund, weil sie keine Juden bzw. weil sie Araber sind. Besonders unerfreulich ist die Ungleichbehandlung am Ben-Gurion-Flughafen. Solche Vorkommnisse werden von linken und liberalen Medien und Kommentatoren in Israel sehr kritisch bewertet, was jedoch noch zu keiner Änderung dieser Praxis geführt hat. In einem normalen Kontext würde man solche Verfahren als klar rassistisch erkennen und sie daher ablehnen, doch tendiert die Politik in Israel dazu, Menschenrechte und andere humanistische Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts den Sicherheitsinteressen des Staates diskussions- und bedenkenlos zu opfern.

Andererseits ist Sicherheit, und das in Israel viel stärker als in sonst einem Land, ein Wirtschaftsfaktor. Obwohl die Sicherheitsleute oft nur sehr schlecht bezahlt werden, was man daran sehen kann, daß vor allem Olim Chadaschim ("Neue Einwanderer"), also russische und äthiopische Einwanderer, und deren Nachwuchs als Sicherheitspersonal beschäftigt sind, das die Kontrollen ausführt (die höheren Ebenen sind mit jüdischen Israelis besetzt, die auf ihre Militärerfahrung aufbauen können), sind die Bereiche der Sicherheitsindustrie, die vor allem technische Sicherheitseinrichtungen aller Art herstellt, und vor allem die Sicherheitsdienstleistungen nicht zu vernachlässigende Bereiche für die Beschäftigung oft geringqualifizierter Arbeitskräfte. Wenn an sämtlichen öffentlichen Gebäuden 2 bis 3 Sicherheitsleute stehen, so führt das in der Summe zu einer beachtlichen Zahl von Arbeitsplätzen. So wurde vor wenigen Monaten die erste Straßenbahn Israels in Jerusalem eröffnet. An den ca. 25 Haltestellen stehen jeweils 2 Sicherheitsbeamte, schon 50 Arbeitsplätze mehr, die bei einer Zweischichtbesetzung von 100 Menschen Anstellung geben. Dieser Personalbedarf fällt zusätzlich zum normalen Bedarf zum Betrieb einer Straßenbahn irgendwo auf dieser Welt an. Außerdem müssen diese erheblichen zusätzlichen Personalausgaben für Sicherheit finanziert werden, was bedeutet, daß erhebliche Summen von Steuern bzw. Einnahmen aus Benutzungsentgeldern  dafür aufgewendet werden müssen. Entweder werden diese auf Kosten anderer Ausgabenpositionen beglichen, d.h. es steht weniger Finanzierung für andere staatliche oder unternehmerische Aufgaben (wie z.B. Bildungsausgaben oder Investitionen in Technik etc.) zur Verfügung, oder aber diese Kosten von Sicherheitsdienstleistungen werden in Steuern und Benutzungsentgelder eingepreist, d.h. diese werden um die Beträge erhöht, die zu deren Betreiben nötig sind. Letztendlich sind es die israelischen Bürger, die dafür zur Kasse gebeten werden, was ein Aspekt der hohen Lebenshaltungskosten in Israel ausmacht. Andererseits gibt der Sicherheitssektor vielen Menschen Lohn und Brot, die sonst wahrscheinlich von Arbeitslosigkeit betroffen wären, so daß die Arbeitslosigkeit in Israel gegenwärtig sich auf historisch tiefem Niveau bewegt.

Von diesen moralischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Überlegungen abgesehen, stellt sich die Frage, ob die Vielzahl und Allgegenwärtigkeit der Sicherheitsmaßnahmen die Sicherheit tatsächlich verbessert, ob sie tatsächlich das tut, wozu sie geschaffen wurde und seitdem existiert. Viele Kontrollen werden recht ungenau durchgeführt. So wäre es ein leichtes, diese fehlende Aufmerksamkeit auszunutzen und eine Waffe oder Sprengstoff in dieses und jenes Gebäude zu schmuggeln. Außerdem können Sicherheitsmaßnahmen, auch wenn sie ernsthaft durchgeführt werden sollten, nur punktuell sein. Man kann nicht alles komplett schützen. Das ist einfach physisch unmöglich. So gab es in den vergangenen Wochen mehrmalig Angriffe auf israelische Soldaten in der neuen Jerusalemer Straßenbahn und das trotz des aufgefahrenen umfangreichen Sicherheitstowuwabobu. Offensichtlich sind die Sicherheitskräfte nur eingeschränkt erfolgreich in ihrer Arbeit. Und drittens bemerkt man, wenn man sich in Israel bewegt, daß diese Maßnahmen das Sicherheitsproblem lediglich verlagern, aber es sicherlich nicht lösen (können). Sie sind (mehr oder weniger wirksame) Medizin gegen die Symptome, aber heilen die Krankheit nicht. Sicherlich sorgen sie dafür, daß die Einkaufszentren, Busbahnhöfe und Bahnhöfe etc. in ihren Innenbereichen höchstwahrscheinlich frei von Waffen und Sprengstoff sind. Doch um nun diese Gebäude zu betreten, bilden sich regelmäßig (d.h. vor allem während der Stoßzeiten am Morgen und frühen Abend) erhebliche Menschentrauben vor deren Eingängen, da die visuellen Taschenkontrollen, das Durchschreiten der flughafenähnlichen Metalldetektoren und die flughafenmäßigen Taschendurchleuchtungen einige Zeit in Anspruch nehmen (die aber zum Glück erheblich schneller, d.h. oberflächlicher, und professioneller als diese durchgeführt werden). Kommt man zum Beispiel etwa 18 Uhr zum zentralen Busbahnhof in Jerusalem, dann findet man vor seinem Eingang ein wildes und unübersichtliches Gedränge, da es jeder der 100 bis 200 davor auf Eintritt wartenden Reisenden es eilig hat. Wenn dann einer viele Menschen in einem Versuch umbringen möchte, wäre das ein sehr passender Ort. Auch wenn man sich im Allgemeinen in Israel durchaus sicher fühlt, bekommt man, wenn man Teil der großen Menschentraube ist bzw. sein muß, um einen Bus benutzen zu können, ein ungutes Gefühl dabei, da man ironischerweise an dem Ort, der zur Erhöhung der Sicherheit dienen soll, einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt ist.

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