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Humanist vielleicht und vielleicht liberal; Menschenfreund im Allgemeinen; reflektierend; angeborener Gerechtigkeitssinn

Mittwoch, 18. April 2012

Der Tag Deutschland's in Israel

Der Tag, an dem die Worte "deutsch", "Deutschland" und "Deutsche" (auf Hebräisch) sehr oft fallen und viele deutsche Worte gesprochen werden, ist kein guter Tag. Es wäre besser, wenn es nicht nötig wäre, in Israel an diesem Tag so viel über Deutschland und soviel Deutsch zu sprechen. Die deutschen Worte sind v.a. die Namen der Konzentrationslager. Und die Worte werden im Rahmen des Holocaust-Gedenktages in Israel am 27. Tages des jüdischen Monats Nisan jedes Jahres (offiziell: Jom Ha-Schoa - יום הזיכרון לשואה ולגבורה; "Holocaust and Heroism Remembrance Day", der auch in anderen Ländern stattfindet) oft wiederholt: im Gedenken an das beispiellose Verbrechen, das die Deutschen über die europäischen Juden gebracht haben und den heldenhaften Widerstand der Juden dagegen. "Schoa" bedeutet "Katastrophe" auf Hebräisch. Deshalb sollte der Tag ursprünglich auf dem Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto liegen, wurde aber aus religiösen Gründen letztendlich verschoben. Der Gedenktag wird nach dem zweimütigen Sirenensignal 10 Uhr am Vormittag beschlossen durch eine Zeremonie im Haus der Ghettokämpfer, im Norden Israels zu der 10.000 Anwesende erwartet werden

Ein sehr trauriger Tag, der an die Tragödie des 20. Jahrhunderts erinnert, die v.a. von Deutschen verübt wurde und unter der vor allem Juden aufgrund der absolut kranken Theorien Hitlers und seiner Knechte zu leiden hatten. Aber er erinnert und ehrt vor allem die unter denen, die Opfer werden sollten, und im Allgemeinen die Widerstand gegen diese menschenverachtende Ideologie geleistet haben, die von deutschem Boden und deutschen Köpfen in die Welt getragen und "umgesetzt" wurde. Er bedeutet vor allem leid- und schmerzvoller Erinnerungen an die Jugendzeit der noch lebenden Überlebenden und schmerzvolle Erinnerung an die Verwandten und das abstrakte Gedenken an einen unerhörten Völkermord. Und es ist ein Tag der für ein Ereignis steht, das sehr komplexe und langanhaltende Folgen hatte und so heute noch die Identität vieler Juden und vor allem das Staates Israel maßgeblich beeinflußt. 


ALLE israelischen Medien sind voll von Themen rund um das Gedenken: Fotos, Originalaufnahmen, Zeitzeugenberichte, Reportagen, Filme, Familiengeschichten, persönliche Geschichten in vielfältiger Weise (auch in jüdischen Medien weltweit). Oft werden Kerzen oder Judensterne mit der deutschen Aufschrift als Symbol des Verbrechens gezeigt. Aber auch verwandte politische und gesellschaftliche Themen werden aufgenommen anlässlich dieses Tages und teilweise mit der unerhörten Tragödie des 20. Jahrhunderts in deplazierter Weise vermischt: Antisemitismus, Kritik an Israel oder der aktuelle Konflikt mit dem Iran. Öffentliche Musik und alles, was mit öffentlicher Unterhaltung und Heiterkeit in Verbindung steht (Kneipen, Kinos, Konzerte etc.), sind an diesem Tag per Gesetz verboten. Es gibt keine Kinovorstellungen und die Musik im Radio ist gedämpft.

Den Auftakt zum Gedenktag macht die offizielle staatliche Zeremonie am Vorabend des Tages in Jad Vaschem, die in diesem Jahr von 20 bis 21:30 Uhr stattfand: Zuerst sprach der Staatspräsident (der sehr weise und würdige Worte fand), danach der Ministerpräsident (dessen Rede eine - für meinen Geschmack zu - starke politische Kompenente bzgl. der (militärischen) Stärke des Landes zur Verhinderung einer Wiederholung dieses Ereignisses hatte). Danach betraten 6 Überlebende, jeweils begleitet von einer/m Soldatin/ Soldaten die Bühne und entzündeten jeweils nach einer kurzen Einspielung ihrer persönlich erzählten und vorher aufgezeichneten Geschichte in der Zeit des Holocaust eine Flamme für eine Million ermordete Juden, so daß am Ende der Zeremonie die Gedenkflammen für die 6 Millionen getöten Juden brannten. Nach einem kurzen religiösen Andenken der beiden Oberrabbiner Israels, wurde ein Totengesang durch einen Soldaten und die Hymne duch einen weiteren Soldaten gesungen. Danach signalisierte ein Trompetenstück ebenfalls durch einen Soldaten den Beginn des Gedenktages. Der betont militärische Charakter der Veranstaltung wird zum Beispiel auch in der Anwesenheit einer Armeeeinheit deutlich, die während der gesamten Zeremonie auf der Bühne angetreten steht.

In einem begrenztem Ausmaß gibt es einen gesellschaftlichen Diskurs über die Ausgestaltung und Bedeutung dieses Gedenktages und auch Kritik und Spott über Netanyahus Geschichtsdeutung, die einen Kreis von der Katastrophe zur aktuellen Politik zieht und in Netanyahus politischem Lager ein weitgeteilte Ansicht darstellt, die aber angesichts seiner historischen Tragweite größtenteils im Hintergrund stehen. Das zweifellos wichtige offizielle politische staatliche Gedenken (und das daraus resultierende allgemeine gesellschaftliche Gedenken (meist nur) in der (jüdisch-) israelischen Bevölkerung) wird von einigen kritisch gesehen und steht allerdings in der Konkurrenz des Gedenkens derer, die am stärksten von dieser Tragödie betroffen waren. Dies weist auf die Spaltung zwischen der jüdischen Religion und der (ursprünglich explizit nichtreligiösen) politischen Idee des Zionismus, d.h. die Schaffung eines Staates für die Juden, und auf eine tiefe Spaltung der israelischen Bevölkerung hin.

Man spricht sehr oft in den Medien (und auch während der Zeremonie) von "Deutschen", natürlich auch von den Nazis, jedoch - für moderne deutsche Ohren - überraschend oft einfach von "Deutschen". Obwohl auch in Israel im offiziellen Sprachgebrauch zwischen "Deutsche" ("גרמנים" - "germanim") und den Nationalsozialisten ("גרמנים הנאצים" - "germanim hanazim") durchaus unterschieden wird, sind für den überwiegenden Teil der Israelis die Begriffe "Deutsch" und "Nazi" identisch. Daher werden auch Jahrzehnte nach dem Holocaust Geborene oft als zum "Volk der Täter" gehörend gesehen (was vielleicht objektiv nicht gerechtfertigt, aber angesichts des traumatischen Ausmaßes des Verbrechens verständlich ist). Jedoch birgt die große Gruppe der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion einen interessanten Impuls: aus der sowjetischen Erinnerungstradition (so findet zum Beispiel Jad Vaschem eine jährliche Zeremonie zum Andenken an den Sieg über Hitlerdeutschland, wie auch heute noch in vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion statt) der (aus weltpolitischen Gründen nach dem Krieg nötig gewordenen) deutlichen Unterscheidung (nicht nur inhatlich, sonder auch und vor allem sprachlich, zumindest im Russischen, der führenden Sprache des damaligen Staatenverbundes) zwischen "Deutschen" (немцы - "njemzui") und "Nazis/ Faschisten" (германскиe фашисты - "germanskije faschistui") und einer grundsätzlich anderen Geschichtsschreibung, stammt eine ausgeprägt und beeindruckend differenzierte Wahrnehmung dieses Verbrechens. So wird zum Beispiel in Reportagen russischsprachiger Medien die Rolle von einheimischen Nazi-Kollaborateuren in den während des Zweiten Weltkrieges besetzten Gebieten ausführlich und differenziert diskutiert.

P.S.
1. In den deutschen Medien ist am 18. April keine einzige Nachricht darüber zu finden. Für eine Vollaufzeichung der Veranstaltung unter "העצרת הממלכתית לציון יום הזיכרון לשואה ולגבורה רשות השידור" auf google.com suchen.
2. Weil ein Tag nach dem religiösen jüdischen Verständnis bereits am Vorabend, d.h. nach Sonnenuntergang des Vortages beginnt, ist der Gedenktag bereits angebrochen, die Zeremonie eröffnet also in der Tat den Tag, und wird bei Sonnenuntergang morgen enden.
3. Die Suche von "שואה גרמנים הנאצים" (schoa germanim hanazim) gibt bei google.co.il 93.000 Treffer, wogegen die Suche von "שואה גרמנים" (schoa germanim) 190.000 Treffer gibt.

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