Der Kampf in Syrien ist auch der Kampf um Syrien, um die Zukunft des religiös vielfältigsten arabischen Landes. Ein Bürgerkrieg. Es ist bis in die Massen- und Boulevardmedien vorgedrungen, daß neben den USA Saudi-Arabien und Katar den (offensichtlich sunnitischen) Rebellen kräftig Waffen und Geld für den Kampf gegen den schiitischen Assad zur Verfügung stellen (andererseits aber abgedankten Diktatoren Asyl gewährt - tja, tja, wie paßt das bloß zusammen??? Und der Teufel Rußland liefert der anderen Seite ebenfalls Waffen - zum Teufel, was trauen die sich nur???). Das Geld ist vom Westen gezahlt für arabisches Öl und Gas, d.h. daß dies ein Beispiel dafür darstellt, wie die Ausgaben für unsere importierte Energie ihren Weg zur "Vertretung" politischer und religiöser Interessen im Nahen Osten finden. Eine offene Unterstützung der Rebellen durch Katar und Saudi-Arabien ist verständlich, folgerichtig und vielsagend, die offene Unterstützung durch die USA dagegen läßt, rational betrachtet, verwundern, wofür es aber auch Erklärungen gibt. Und daß die Aufständischen mit allen Wassern gewaschen sind und selbst nicht zwangsläufig verfechter der Menschenrechte sind, haben sie mit ihrem Überfall auf (sicherlich regimetreue, aber) unbewaffnete Journalisten und der Entführung libanesischer schiitischer Pilger redlich gezeigt. Man will hoffen, daß diese Begebenheiten keinen Vorgeschmack auf das Schlachten in Syrien geben werden, sollte Assad verlieren. Jedoch ist davon auszugehen, daß die jetzigen Aufständischen in ihrer blinden Wut und ihrem Freudentaumel, sollten sie mithilfe saudischen Geldes und amerikanischer Unterstützung gewinnen, zu skrupellosen Schlächtern werden könnten.
Warum unterstützen Saudi-Arabien und Katar die Aufständischen (die das Assad-Regime als "Terroristen" bezeichnet)? Nun, aus dem gleichen Grund, warum sie im Irak und im Jemen die sunnitischen Aufständischen und in Bahrain die sunnitische Regierung gegen die schiitischen Aufständischen (mittels aus dem Westen, auch aus Deutschland, importierter Militärtechnologie) unterstützen: sie wollen das Schiitentum in all seinen Ausprägungen bekämpfen, weil das Schiitentum ihr traditioneller Erzfeind ist. Im Irak haben die Schiiten mit amerikanischer (Schützen-) Hilfe die Macht übernommen bzw. wurden zumindest Dank des amerikanischen Eingreifens sensationell gestärkt und zwar in einem Maße, wie es der Iran nie zu Stande bekommen hätte. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dort ein starker (schiitischer) Mann auftreten und die Macht an sich reißen wird.
In 10 Jahren wird außerdem der Libanon eine schiitische Bevölkerungsmehrheit haben, die früher oder später wohl die Macht an sich reißen wird. Und Syrien hat seit einigen Jahrzehnten bereits eine schiitische Regierung, die den vom Westen nach Kräften unterstützten (politisch und waffentechnologisch, was letztendlich zur Festigung ihrer Macht führt), aber auch gleichzeitig erzkonservativen und die Menschenrechte negierenden arabischen Erbmonarchien seit langen ein Dorn im Auge ist. Nun, da der Keim der Revolution in diesem Land entsprungen ist, wittern sie Morgenluft.
Es sollte westliche Politiker sehr nachdenklich machen, wenn Saudi-Arabien öffentlich mittels seiner Ölmilliarden, die Widerstandskämpfer unterstützt. Nicht einmal deutsche Politiker, für die der Nahe Osten ein komplett unverständliches nichts als weißes Blatt ist, können so naiv sein und glauben, daß Saudi-Arabien letztendlich einen demokratischen Umschwung in seinem Nachbarland Syrien sehen möchte. Eine Demokratie vor der Haustür, die durch einen gewaltsamen Aufstand zu Stande gekommen wäre, kann aufgrund der unbeherrschbaren Vorbildfunktion für die einheimischen Zustände sicherlich kein Wunschszenario, sondern eher das Alptraumszenario der Saudis sein. Es muß eine Horrorvorstellung für sie sein, wenn in baldiger Zukunft vier schiitisch-regierte Staaten (Libanon, Syrien, Irak und Bahrain) in der arabischen Liga sitzen würden, die außerdem ständig der Kumpanei mit dem und der Lenkung durch den Erzfeind verdächtig sind.
Und westliche Politiker sollten aus einem weiteren Grund unruhig werden: offensichtlich sind die syrischen Aufständischen genug auf der religiösen und politischen Linie der Saudis, daß sie eine derartige Unterstützung verdienen. Und wenn sie es jetzt noch nicht sind, so werden sie sich zumindest mit genug finanzkräftiger Unterstützung, wahrscheinlich nachhaltig, "überzeugen" lassen. Welche Haltung die Saudis gegenüber religiösen Minderheiten und Menschenrechten vertreten, sollte auch bis Berlin vorgedrungen sein. Aber Syrien war und ist doch auch nicht besser! Wer dies behauptet, bezeugt, daß er keinen Schimmer vom Nahen Osten hat: wenn man sich in Syrien nicht gegen das Regime politisch betätigte, genoß man ziemlich viele Freiheiten, zumindest viel mehr als in Saudi-Arabien, wo z.B. allein das Geschlecht für massive Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte sorgt.Und bereits im Janui 2012 zeichnet sich klar die Einigkeit und daraus resultierende politische Stabilität der syrischen Aufständischen ab - ein schlechtes Omen für den Fall, daß Assad unterliegen sollte... denn dann wäre die Büchse der Pandora im vielfältigen Syrien geöffnet...
Wenn nun Assad bei all dem Morden, das zu verurteilen ist, nicht standhaft bleibt, so zeichnet sich der nächste Genozid/ Religozid, nämlich der der sunnitischen Gewinner gegen die religiösen Minderheiten, bereits am Horizont ab. Man schaue in den Irak, wo nicht einmal den Amerikanern die Stabilisierung der "prekären", wenn nicht katastrophal destabilen Sicherheitslage gelungen ist. Welche gesellschaftlichen Gruppen litten dort am stärksten? Es waren die religiösen Minderheiten.
Eine Irakisierung Syriens wäre der GAU und zwar für alle Beteiligten: das Assad-Regime, die Alawiten, Christen und Drusen Syriens, für sämtliche religiöse Minderheiten, für den Westen und für den durchschnittlichen apolitischen syrischen Bürger sowie nicht zuletzt v.a. für Saudi-Arabien, das dann nicht nur den Problemherd Jemen an der südlichen, sondern auch ein tiefgreifend destabiles Syrien an seiner nördlichen Grenze hätte und somit von zwei unkalkulierbaren Krisenherden zusätzlich zum Erzfeind Iran, dem man aus ideologischen Gründen kein Staubkorn schenkt, flankiert wäre. Die unmittelbare Erfahrungaus arabischen Staaten, in denen in den letzten Jahren ein Regimewechsel stattgefunden hat, deutet stark auf eine nachhaltige Destabilisierung nach dem Wechsel hin (Irak, Lybien, Tunesien, Ägypten, Jemen, vgl. auch hier).
Und worin besteht das Interesse Israels? Wenn die Aufständischen in Syrien gewinnen, wird bald ein sunnitischer Religionsstaat folgen, der - im ungünstigsten Fall - zum Tummelplatz radikaler Islamisten saudischer Prägung wird. Diese werden die Palästinenser, aber v.a. die Hamas besonders unterstützen, was dazu führen könnte, daß auch die Hamas im Westjordanland an die Macht gelangt, aber zumindest mehr Terroranschläge auf Israel und seine Menschen verübt werden. Abgesehen von dem Umstand, daß Israel jegliche Kommunkation mit der Hamas verweigert, wird auf Seiten der Palästinenser das Gewaltpotential und die -bereitschaft steigen. Vielleicht käme es zu einer koordinierten Aktion (welcher Natur auch immer) mit der Hisbollah im Libanon, jedoch wird man auf lange Sicht zueinander aus religiösen und dogmatischen Gründen auf Konfrontation gehen, was zu Scharmützeln an Israels Nordgrenze und einer Destabilisierung des Libanons führen könnte. Außerdem hätte eine sunnitische syrische Regierung nicht nur eine nationale Auseinandersetzung um die Grenzziehung mit Israel (wie sie Syrien unter Assad zur Zeit hat), sondern es käme das religiöse Element ins Spiel, da man die unterdrückten Glaubensgenossen jenseits des Jordans brüderlich in ihrem Widerstand unterstützen wird. Summa Summarum würde ein solches Szenario zu einer erheblichenVerschlechterung und Verunsicherung der israelischen Sicherheitslage führen, so daß Israel mit einem Assad an der Spitze das nordöstlichen Nachbarlandes sicher besser fährt. Informierte israelische Beobachter sind besorgt.
Nachtrag: informierte Beobachter machen auf das enorme Ausmaß von Des- und bewußter Falschinformation und ihre fatalen Folgen aufmerksam. Daß unter den Aufständischen ein Reihe von religiösen Extremisten ist, die nicht Zögern im Namen der Reiligion der Brutalität zu huldigen, ist spätestens seit Lybien und Tunesien bezeugt. Der Standard diskutiert das blutige und kulturverneinende barbarische Erbe sunnitischer Bewegungen des "wirklichen" Islams.
Mitte Oktober 2012 bemerken die USA mit Furcht, daß die Salafisten von den Kämpfen in Syrien am meisten profitieren. Welch Überraschung!
Fotos und Impressionen von Kurzreisen durch das Morgenland (Israel, Palästinensische Gebiete etc.). Gedanken und Eindrücke aus weiteren Besuchen im Heiligen Lande. Information und Meinungskampf.
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Donnerstag, 7. Juni 2012
Der Kampf um Syrien
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